Das Phantom im Spiegel: Ein phänomenologischer Versuch über somatosensorische Plastizität und Leibgedächtnis
Abstract
Ausgangspunkt der hier angestellten Überlegungen ist die virtual reality box des Neurologen Vilayanur Ramachandran, ein Kasten, in dem ein Spiegel vor Patienten mit Phantomsymptomen in einer amputierten Hand so positioniert wird, dass die Bewegungsreflexion der intakten anderen Hand auf die gefühlte Stelle der Phantomhand projiziert wird. Zweck dieser Apparatur ist, das Phantom visuell wieder zum Leben zu erwecken, um intersensorische Effekte ermitteln zu können. Eines der Ergebnisse ist das Auftreten einer kinästhetischen Empfindung in der Phantomhand in 60% der Fälle. Der visuelle Sinn vermittelt hier zwischen zwei leiblichen Empfindungen, der originären kinästhetischen in der intakten Hand und der quasi-kinästhetischen in der Phantomhand. Wichtig ist dabei die Lokalisierung der Empfindung, die erst durch das Spiegelbild und das es verarbeitende visuelle Sensorium geleistet wird. Wenn der Patient sieht, wo sich die Phantomhand befindet, und eine Verbindung zur sich tatsächlich bewegenden Hand herstellt, kann sich eine intermodale Kongruenz zwischen projizierter und gefühlter Phantomhand einstellen, die häufig mit einer Linderung der Phantomschmerzen einhergeht. Diese Versuche bergen interessante Ansatzpunkte für die Phänomenologie der Leiblichkeit und des Leibgedächtnisses. Durch den Spiegel entsteht nämlich eine synästhetische Ordnung, in welcher der Leib sich durch intermodale Vermittlung an sich selbst erinnert und durch die eine Kongruenz unterschiedlicher Aspekte des Leibgedächtnisses hergestellt wird. Ziel des Aufsatzes ist es, das subjektive Erleben der Patienten mit Phantomgliedern mit den neurowissenschaftlichen Interpretationen über die zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen sowie mit den phänomenologischen Konzepten von Körperbild, Körperschema und Leibgedächtnis zusammen zu denken. Es wird vorgeschlagen, das Phantom als paradoxale Erlebniseinheit aus einem körperbildlichen Vergessen und einem körperschematischen Erinnern zu verstehen. The essay takes its point of departure with the virtual reality box developed by neurologist Vilayanur Rama chandran, in which a mirror is placed in front of a patient with phantom limb pain in an amputated hand in such a way that the reflection of the motor actions of the intact other hand is projected onto the spot where the phantom hand is felt. The aim of the apparatus is to visually re-erect the phantom in order to produce intersensory effects. One of the results is the appearance of a kinaesthetic sensation in the phantom hand in 60% of the cases. The visual modality mediates here between two bodily sensations – the original kinaesthetic sensation in the intact hand and the quasi-kinaesthetic one in the phantom hand. What is important is the localisation of the sensation, which is only achieved through the mirror image and the visual sensorium. When the patient sees where the phantom hand is located and if he can make a connection to the actually moving hand, then an intermodal congruency can be established between the projected and the felt phantom hand. This congruencyoften relieves the phantom pain. These experiments provide interesting points of discussion for the phenomenology of embodiment and body memory. Due to the mirror a synaesthetic system emerges, in which the body, by way of intermodal mediation, remembers itself and by which a congruency of different aspects of body memory is created. The aim of this essay is to bring together the subjective experience of patients with phantom limbs with the neuroscientific interpretations of the underlying neuronal mechanisms as well as the phenomenological concepts of body image, body schema and body memory. It is argued that a phantom can be understood as a paradoxical experiential unit consisting of a body-imagistic for getting on the one hand, and a body-schematic remembering on the other