Abstract
Das Verhältnis von analytischer Philosophie und mittelalterlicher Philosophie ist umstritten. Einerseits wird die Philosophie des Mittelalters wenigstens teilweise als analytische Philosophie typisiert oder rezipiert, andererseits glaubt man nicht, dass das analytische Paradigma eine angemessene Perspektive für das Verständnis der mittelalterlichen Philosophie bietet. In dieser Kontroverse wird in der Regel ein undifferenzierter Begriff von analytischer Philosophie verwendet. Betrachtet man die wesentlichen Charakterisierungen jener Strömung durch ihre Hauptvertreter selbst, dann erscheinen Begriffsanalyse, Logikzentriertheit und Metaphysikkritik als zentrale Komponenten des Selbstverständnisses der analytischen Philosophie. Indessen sind alle drei Charakteristika in vielfältiger Weise auch in der mittelalterlichen Philosophie wiederzufinden. Daher erweisen sich programmatische Abgrenzungsversuche von analytischer und mittelalterlicher Philosophie als revisionsbedürftig. Die Philosophie des Mittelalters ist in zentralen Teilen und Hinsichten als analytische Philosophie zu charakterisieren. Die analytische Philosophie ist wesentlich mit einem Methodenstandard verbunden, der sich in der gesamten Philosophiegeschichte nachweisen lässt und auf den in der philosophiegeschichtlichen Arbeit, nicht zuletzt in der philosophischen Mediävistik, mit Gewinn zurückzugreifen ist.